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Der Mordfall Johann Georg Waibel

Abschrift aus den Gerichtsakten beim Staatsarchiv Freiburg
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Aus der Anklageschrift:

Der Getötete war am 15. Februar, einem Samstag Vormittag zwischen 8 und 9 Uhr von Nesselwangen nach Sipplingen gekommen und hatte daselbst bis über Mittag Loszettel herumgetragen. Nach Erledigung dieses Dienstgeschäfts verblieb er noch zu seinem Vergnügen in Sipplingen. Gegen 2 Uhr begab er sich in das am See gelegene Bräuhaus der Witwe Renner, später in die Krone und von da um 6 Uhr das Dorf hinauf in das Wirtshaus Zum Adler. Im Adler waren gleichzeitig mit ihm als Gäste Polizeidiener Regenscheit, Balthasar Beurer, Johann Seiberle, August Wiedenhorn, Karl Scheu und Bernhard Beurer. Bemerkenswertes trug sich nicht zu, als dass Waldhüter Waibel dem Polizeidiener Regenscheit einen Loszettel zur Besorgung übergab, und dabei 17 – 19 weitere Loszettel, sowie ein Steigerungsprotokoll sehen ließ, welche Urkunden nicht mehr zum Vorschein gekommen sind.

Um 9 Uhr, nachdem sich Polizeidiener Regenscheit und Balthasar Beurer kurz zuvor entfernt hatten, verließ Waldhüter Waibel die Wirtschaft und begab sich noch mit August Wiedenhorn, Karl Scheu und Johann Seiberle in die ganz nahe bei dem Adler gelegene Wohnung des Johann Seiberle, wo auch die Frau des Karl Scheu zu Besuche war. Die Aufwartung bei Johann Seiberle bestand in Kaffee und Speck.

Zwischen ½ und ¾ 11 Uhr brach die Gesellschaft auf. Die Ortsstraße, welche an dem Hause des Johann Seiberle vorbeigeht, ist die im Eingang beschriebene; wenige Schritte oberhalb befindet sich das Haus des Bürgermeisters. In diese Richtung hatte Waldhüter Waibel seinen Heimweg nach Nesselwangen zu nehmen. August Wiedenhorn wohnt jenseits der Straße in der Richtung gegen den Adler, Karl Scheu unten im Dorfe beim Pfarrhause. So trennten sich – während Johann Seiberle und dessen Frau im Hause verblieben – unmittelbar vor demselben ihre Gäste und hier war es, dass Waldhüter Waibel zum letzten Mal lebend gesehen wurde.

Der Getötete Waldhüter Waibel von Nesselwangen stand zur Zeit seines Todes im 66. Lebensjahre, er war verehelicht mit Josepha Nesensohn, die ihn mit drei in dieser Ehe erzeugten, nunmehr erwachsenen und bereits in bürgerlichen Ehen stehenden Söhnen überlebt. Seit 1832 bekleidete er den Dienst eines Waldhüters und 12 Jahre lang war er zugleich als Mitglied des Gemeinderats und als Ratsschreiber für seine Gemeinde tätig.

In den erhobenen Zeugnissen ist ihm der ehrendste Nachruf für sein Wirken zu Teil geworden.

Seine Gemeindebehörde bezeugt ihm, dass er ein friedlicher Ehemann, ein sparsamer Hausvater, ein ordnungsliebender Bürger, in seinem Dienste als Waldhüter unermüdlich tätig und nicht minder als Gemeindebeamter tüchtig und befriedigend gewesen sei.

Gleich rühmend spricht sich das Pfarramt über ihn aus, fügt jedoch bei, dass er als Waldhüter etwas strenge die Holzfrevel unnachsichtig zur Anzeige und sich dadurch Feinde, die sich an ihm rächen suchten, erworben habe, Gelegenheit zur Ausübung einer Rache gegen ihn habe sich dadurch leicht geboten, dass er oft bei Nacht auswärts verweilte, besonders in Sipplingen, seinem Lieblingsaufenthalte.

Näheres hierüber enthält das Zeugnis seiner Dienstbehörde – der Gr. Bezirksforstei Überlingen:

Waldhüter Waibel habe seinen Dienst mit Fleiß und Treue, ohne Furcht und Leidenschaft erfüllt; gegen Gewohnheits- und Erwerbsfrevler sei er trotz aller Drohungen – strenge gewesen, gegen Armen aber, die nur aus Not frevelten und sich mit Abfällen begnügten – mild. Härte habe nicht in seinem Charakter gelegen – auch habe er nie aus Leidenschaft eine unrichtige Anzeige gemacht; er sei stets unparteiisch und deshalb allgemein, so auch in Sipplingen, geachtet gewesen.

Nur von bösen, moralisch ganz verdorbenen Leuten sei er gehasst worden.

Angeklagt des an Waldhüter Waibel verübten Mordes ist Franz Xaver S. von Sipplingen, geboren 13. November 1811, verehelicht mit Maria geb. B., Vater von 2 Kinder, Zimmermann und Landwirt, im Besitze eines angefallenen Vermögens von ca. 400 f.

Sein Haus bewohnt er gemeinschaftlich mit seinem Schwiegersohn, dem Maurer Fridolin R. Dasselbe liegt in dem nördlichen Teile des Dorfes, der im Eingang schon zu erwähnen war.

Nach dem, was über die Persönlichkeit des Angeklagten im Allgemeinen erhoben wurde, ist er, obwohl im nüchternen Zustande verträglich und arbeitsam, ein Mann von rohem und leidenschaftlichem Charakter, dem Branntwein ergeben und in der Trunkenheit zu maßlosen Zornausbrüchen geneigt.

Zwei Vorfälle dieser Art sind bezeichnend:

Während er im Jahre 1863 mit den Blattern behaftet war, hat er einmal, abgesehen von anderen Rohheiten den ihm bestellten Wärter Joseph Bader mit einem Stocke misshandelt und sich dann, um ihn dauernd fern zu halten, mit einem Spitzmesser und mit einer Axt versehen.

Der zweite Fall ist aus dem Jahre 1866 – dass er aus geringfügigem Anlass seinen Tochtermann und dessen Frau, seine eigene Tochter, misshandelte und lebensgefährlich bedrohte, in Folge dessen beide sich flüchteten und der Tochtermann sich veranlasst sah, den Schutz der Behörden aufzusuchen.

Eben dieser Tochtermann, und außer ihm noch Josef Bader zwei Nachbarn des Angeklagten Isidor Regenscheit und Norbert Märte, haben auch erklärt, dass sie den Angeklagten, zumal wenn er betrunken sei, zu allem fähig halten.

Durch dreizehn Zeugen – unter ihnen die Witwe und zwei Söhne des Getöteten – ist weiter dargetan, dass die Beziehungen des Angeklagten zum Waldhüter Waibel seit dem vorigen Herbst bis zu seinem Tode der feindseligsten Art waren.

Der Angeklagte war nämlich bei der Freveltätigung vom 24. September v.J. auf Anzeige des Waldhüters Waibel wegen Frevels einer Tannenstange zum Ersatze von 28 Kr. und zu einer Gefängnisstrafe von ½ Tag verurteilt worden.

Kurz darauf erschien er bei Waibel in Nesselwangen, stellte ihn zur Rede, ging, als Waldhüter Waibel, um jede Erörterung abzuschneiden, sich vom Haus entfernte, ihm nach und wurde tätlich. Waldhüter Waibel jedoch wies seinen Angreifer mit Überlegenheit zurück. Ein zweites Zusammentreffen der beiden fand bei der Deichelgrube in Sipplingen statt, und wieder gab der Angeklagte seinem Grimm gegen Waibel Ausdruck, diesmal in Schimpfworten und Drohungen. Er soll ihm namentlich gesagt haben: Er werfe ihn in die Deichelgrube. Auch gegen Dritte ließ sich der Angeklagte, wenn von diesen Vorgängen die Rede war, über Waldhüter Waibel in drohendem Ton vernehmen. Richard Beurer und Johann Biller waren Zeugen, wie er am 9. Februar Abends im Sternen zu Sipplingen erklärte: „Er werde Waldhüter Waibel erwischen, dann werde er wegkommen, ohne zu wissen wie, es werde nicht mehr lange dauern – oder: er werde dann nicht mehr lange herumlaufen.“

Am 15. Februar war der Angeklagte den ganzen Tag in dem Hause seines Schwagers Fidel Biller mit Branntweinbrennen beschäftigt und während dieser Zeit nur zweimal – Mittags und wieder um 4 Uhr abends auf kurze Zeit zuhause gewesen, dass er bei dieser Gelegenheit dem Waldhüter Waibel begegnete oder sonst von dessen Anwesenheit in Sipplingen Kenntnis erhielt, ist nicht erwiesen. Abends gegen 11 Uhr war das Brenngeschäft für jenen Tag beendigt und der Angeklagte machte sich auf den Heimweg. Er hatte bei seinem Geschäfte den Tag über nur Most getrunken und war nüchtern. Vor seiner Entfernung zündete er noch sein Öllämpchen an, das er dann mitnahm. An andern Morgen um 5 Uhr wollte er zur Fortsetzung des Brennens wieder kommen. Als er das Haus verließ, begaben sich die Bewohner desselben, seine Verwandten Fidel Biller, dessen Ehefrau und Sohn, zu Bett und hörten gleich darauf die Kirchenuhr 11 Uhr schlagen.

Das Haus des Fidel Biller liegt ziemlich an dem Ende des Dorfes gegen Hödingen etwa eine halbe Viertelstunde von der Kirche und Adler entfernt; Der Weg von da nach dem Hause des Angeklagten führt an der Nesselwanger Fahrstraße vorbei über den Ort der Tat, nachdem er, wie im Eingang beschrieben, in die vom See heraufkommende Straße eingemündet und sich mit dieser vereinigt hat. Auf diesem Wege hat sich der Angeklagte in der Nacht vom 15. Auf den 16. Februar zugestandenermaßen nach Hause begeben. Wann er aber zuhause ankam, konnte nicht festgestellt werden. Und denselben Weg – in umgekehrter Richtung - hat er auch am 16. Februar Morgens 5 Uhr zurückgelegt, indem er sich zu seinem Schwager Fidel Biller begab. Eine halbe Stunde später, 5 ½ Uhr wurde die Leiche von Anselm Wiedenhorn aufgefunden, der sofort bei dem Bürgermeister die Anzeige machte. Von dem Angeklagten verlautete nichts, bis der Vorfall am nächsten Morgen bekannt wurde. – Es hieß, er sei den Weg gegangen, habe den Getöteten aber nicht gesehen. Eine Haussuchung, die deshalb am 16. Februar bei ihm vorgenommen wurde, war ohne Ergebnis. Die persönliche Einvernahme des Angeklagten unterblieb.

Am 18. Februar befand er sich mit mehreren anderen Gästen im Adler. Das Gespräch handelte von den Wahlen zum Zollparlament, die an jenem Tage stattfanden. Da äußerte sich der Angeklagte – ohne dass unmittelbar eine Veranlassung dazu gegeben war: „Und ich sage, er ist um 11 Uhr noch nicht dort gewesen, ich bin mit einer Laterne dort herauf.“ Isidor Biller, der in seiner Nähe saß, bemerkte ihn sofort: „Wenn er das behaupte, so sei er der Täter.“ – worauf der Angeklagte keine Silbe erwiderte. Einige Zeit nachher sagte er: „Er sei auch 5 Uhr Morgens dort herunter, er habe ihn nicht gesehen, er sei aber wegen des Straßenkots den Fußweg hinter den Deicheln durchgegangen“ – und wiederholt bemerkte Isidor Biller: er glaube jetzt erst, dass der Angeklagte der Täter sei und wiederholt blieb der Angeklagte auf diese Beschuldigung stumm. –

Am 24. Februar wurde er in Untersuchung genommen und hat sich auch bei Gericht über die beiden Gänge nicht glaubhaft und befriedigend zu erklären vermocht. Während er dabei stehen bleibt, dass er weder am Abend noch des Morgens etwas von dem Getöteten gesehen habe, sagt er nun, dass er auch das erste Mal um die Deichelklötze herumgegangen sei, und zwar wegen des Kotes auf der Straße, in welchem er schon vorher habe waten müssen – mit der Laterne habe er nur auf den Weg hinter den Deicheln geleuchtet, welcher am Bache hinführt, damit er nicht ausgleite und falle. Am Morgen sei dann allerdings der Straßenboden gefroren gewesen, aber deshalb rauh zum Gehen, und da er einen aufgebrochen großen Zeh am linken Fuß gehabt habe, so habe auch jetzt wieder den Weg um die Deicheln herum vorgezogen. –

Von diesem Fußleiden war bei der ärztlichen Besichtigung des Angeklagten am 24. Februar nichts mehr wahrzunehmen.

Auf Grund dieser Ergebnisse der Voruntersuchung, auf Grund des Verweisungsbeschlusses der Gr. Rats- und Anklagekammer vom 9. Mai 1868 No 4849, auf Grund der §§ 203 – 205 StGB und § 30 der GV und Beil. II Ziff. 1 und unter Berufung auf die in der Anlage verzeichneten Beweismittel wird gegen Franz Xaver S. von Sipplingen wegen Mords Anklage erhoben und an das Schwurgericht der Antrag gestellt, den Angeklagten dieses Verbrechens für schuldig zu erklären, ihn in die gesetzliche Strafe, sowie in die Kosten des Strafverfahrens und der Urteilsvollstreckung zu verurteilen.

Constanz, den 20. Mai 1868


Aus dem Gerichtsprotokoll:

Urteil

Nach Ansicht des Wehrspruchs der Geschworenen, in Anwendung der Strafbestimmungen des § 209 StGB, und in Erwägung, dass die Tat mit besonderer Grausamkeit ausgeführt wurde, § 151 Z. 2 StGB, sowie wegen der Kosten nach § 426 StPO wird erkannt:

Franz Xaver S. von Sipplingen sei des Totschlags für schuldig zu erklären und deshalb zu einer Zuchthausstrafe von 15 Jahren, wovon die ersten 9 Jahre in 6 Jahre Einzelhaft zu erstehen sind, sowie zum Ersatze der Untersuchung– und Straferstehungskosten zu verurteilen.

V. R. W.

Nach Wiedereintritt des Gerichtshofes verkündete der Vorsitzende dem Angeklagten dieses Urteil, und belehrte ihn über das ihm hiergegen zustehende Rechtsmittel der Nichtigkeitsbeschwerde, unter Behändigung einer gedruckten Belehrung, worauf S. ins Amtsgefängnis zurückgebracht und die Verhandlung geschlossen wurde.



Georg Waibel findet man in der großen Personen-Genealogie (2023) hier.